TGH fordert Anerkennung, Entschädigung und politische Konsequenzen
GAZETEM/HAMBURG
Vierzig Jahre nach dem rassistischen Mord an Ramazan Avcı erinnert die Türkische Gemeinde in Hamburg und Umgebung e.V. (TGH) an eines der frühen tödlichen Beispiele rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland und fordert vom Hamburger Senat klare politische Konsequenzen.
Am 21. Dezember 1985 wurde der 26-jährige Ramazan Avcı am S-Bahnhof Landwehr in Hamburg von rechtsextremen Skinheads rassistisch motiviert angegriffen: Sie verfolgten ihn, fuhren ihn mit einem Auto an, schlugen und traten mit Baseballschlägern auf ihn ein. Schwer verletzt starb er am 24. Dezember 1985.Der Mord gilt als eines der frühen rassistisch motivierten Tötungsdelikte in Deutschland. Das rassistische Motiv wurde jedoch jahrzehntelang nicht offiziell anerkannt, und die Angehörigen warten bis heute auf Entschädigung sowie eine klare staatliche Verantwortungsübernahme.
Bereits wenige Monate zuvor, am 24. Juli 1985, war Mehmet Kaymakçı von Neonazis in Hamburg-Langenhorn ermordet worden. In den 1980er-Jahren häuften sich rassistische Angriffe auf Migrantinnen und Migranten in Hamburg, vielfach ohne angemessene politische und institutionelle Einordnung.
Proteste, Selbstorganisation und politische Verantwortung
Der Mord an Ramazan Avcı löste massive Proteste aus: Im Januar 1986 demonstrierten etwa 15.000 Menschen in Hamburg gegen Rassismus und rechte Gewalt. Daraus entstand das „Bündnis Türkischer Einwanderer“, das 1986 zur Gründung der Türkischen Gemeinde in Hamburg und Umgebung (TGH) führte. Gründungsvorsitzender war Prof. Dr. Hakkı Keskin, der die Demonstrationen und die politische Selbstorganisation entscheidend mitgestaltete. Die TGH sieht sich bis heute als direkte Folge dieses Mordes: als Stimme der Betroffenen, als Interessenvertretung und als Mahnung gegen die Relativierung rassistischer Gewalt. „Ramazan Avcı wurde gezielt aus rassistischen Motiven getötet. Die jahrzehntelange Nichtanerkennung dieses Motivs ist ein politisches Versäumnis“, sagt TGH-Vorsitzender Murat Kaplan. „Erinnerung bedeutet Verantwortung – der Hamburger Senat muss den Mord endlich offiziell als rassistisches Tötungsdelikt anerkennen. “Ramazan Avcı hinterließ seine schwangere Partnerin Gülüstan, die kurz nach seinem Tod den gemeinsamen Sohn Ramazan gebar. Die fehlende offizielle Anerkennung des Tatmotivs und das Ausbleiben einer Entschädigung belasten die Familie bis heute.
Kontinuität rechter Gewalt ernst nehmen
Die Geschichte des Mordes an Ramazan Avcı ist Teil einer langen Kette rechter und rassistischer Gewalt in Hamburg und Deutschland. Sie reicht von den tödlichen Angriffen der 1980er-Jahre über die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bis zu aktuellen rechtsextremen Anschlägen und Netzwerken. Die wiederholte Einordnung solcher Taten als „Einzelfälle“ hat sich als schwerer Fehler erwiesen.Die Türkische Gemeinde in Hamburg und Umgebung (TGH) fordert eine lückenlose und konsequente Aufklärung rechter Gewalt. Sie verlangt verlässliche Unterstützung für Betroffene und Angehörige, einschließlich der rechtlichen Anerkennung rassistischer Tatmotive, Entschädigungen und psychosozialer Begleitung. Zudem soll die Perspektive der Betroffenen konsequent in staatliches Handeln einbezogen werden. Schließlich setzt sich die TGH für eine nachhaltige Förderung von Präventions-, Bildungs- und Demokratieförderungsprojekten ein.Politik, Verwaltung und Sicherheitsbehörden müssen strukturelle Diskriminierung klar benennen, aktiv abbauen und Verantwortung übernehmen. Erinnerung an Opfer wie Ramazan Avcı darf nicht symbolisch bleiben, sondern muss sich in konkreten politischen Maßnahmen widerspiegeln.
Einladung zur Gedenkveranstaltung
Die TGH beteiligt sich an der Gedenkveranstaltung am Ramazan-Avcı-Platz (nahe S-Bahnhof Landwehr), ausgerichtet von der Ramazan-Avcı-Initiative.
Ort: Ramazan-Avcı-Platz / S-Bahnhof Landwehr
Datum: 21. Dezember 2025
Uhrzeit: 14:00 Uhr
Das Niederlegen von Blumen ist ganztägig möglich.
